Russische Aggression, der Ukrainische Weg in Richtung EU und die Repression gegen die Zivilgesellschaft in Russland – meine Rede im Plenum des Bundestags

Meine Rede im Plenum ist im Video hier verlinkt – und hier ist der Text:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, es ist doch eine groteske außenpolitische Fehlwahrnehmung, die ich bei Ihnen immer wieder beobachten muss, wenn Sie die Ukraine und die NATO für die außenpolitischen Aggressionen Russlands und die Truppenkonzentration verantwortlich machen wollen. Was glauben Sie eigentlich, wie Sie Ansprechpartner für Fragen von Dekolonialisierung und Antiimperialismus sein können, wenn Sie so vollkommen blind sind für die fortwährenden imperialen Aggressionen und fortwährenden Völkerrechtsverletzungen Russlands?

Am schlimmsten – und das wird in Ihrem Antrag deutlich – und am gefährlichsten für den aufrichtigen demokratischen Diskurs hier im Hause ist: Ihr Antrag formuliert gezielte Desinformation, wenn Sie schreiben, dass die Ukraine über 100 000 Soldaten und schwere Waffen an der Frontlinie im Donbass zusammenzieht. Das sind Informationen, die Sie vielleicht von Russia Today haben, aber nicht aus den Monitoring-Berichten der OSZE. Sie konstruieren den Vorwurf eines schwerwiegenden Bruchs des Minsker Abkommens, den es aufseiten der Ukraine in der Form nicht gibt. Ich frage mich, ob Sie eigentlich wissen, wessen Spiel Sie da spielen, wenn Sie das machen.

Das zeigt, wie wichtig die objektiven Beobachtungen der OSZE vor Ort sind und welchen wichtigen Beitrag die OSZE zur Friedenssicherung leistet. Da schließe ich mich ausdrücklich dem Dank der Kollegin Brugger an die Außenministerin an.

Und: Liebe Linke, tun Sie sich noch einen weiteren Gefallen: Überwinden Sie endlich Ihre Obsession mit der NATO und erkennen Sie die Tatsachen an! 2014 gab es keinen NATO-Maidan in der Ukraine; es gab einen Euromaidan. Die Menschen in der Ukraine sind auf die Straße gegangen, weil sie für Frieden, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit eingetreten sind und die Orientierung Richtung EU wollten.

Das ist es, was die Menschen wollten. Das ist es, wogegen der Kreml seit 2014 mit voller Härte vorgeht.

Eine Integration der Ukraine in die Nato steht im Moment überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Es ist noch ein langer Weg dahin, aber wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, dann wird der Tag kommen, an dem die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine durch ukrainische Abgeordnete im Europäischen Parlament vertreten sind. Das ist und bleibt das Ziel, und daher wollen wir diesen Weg weiter beschreiten und an den Voraussetzungen arbeiten. Aber über dieses Ziel und diesen Weg wird nicht in Moskau entschieden, sondern in Kiew und in Brüssel und überall sonst in Europa.

Jetzt kommen wir zum Antrag der Unionsfraktion. Der Antrag zeigt eine starke euro-atlantische Allianz, die wichtig ist in diesen Fragen, und er zeigt auch, dass wir in wesentlichen Grundzügen eine große Übereinstimmung in diesem Haus haben, was die Antwort auf die russische Aggression angeht.

Erstens. Die Klarheit in Bezug auf Nord Stream 2, die Sie im Antrag formulieren, hätten wir uns auch schon in der letzten Legislaturperiode gewünscht, und die hätten wir uns auch von der früheren Bundeskanzlerin gewünscht. Dann wären manche Diskussionen vielleicht heute nicht so, wie sie sind.

Zweitens. Herr Wadephul, vielleicht erkundigen Sie sich auch mal bei den Menschen in der Ukraine und bei ukrainischen Militärs, wie dankbar sie dafür sind, dass die Bundesaußenministerin zu Besuch im Militärkrankenhaus war, wie dankbar sie dafür sind, dass mit deutscher Technik und mit deutscher Unterstützung verwundete Soldaten behandelt werden und dass wir ein neues mobiles Militärkrankenhaus dahin liefern, weil immer wieder – auch heute wieder – Krieg herrscht in der Ostukraine und immer wieder verwundete Soldaten behandelt werden müssen. Es ist grotesk, das nicht anzuerkennen. Da bin ich der Außenministerin sehr dankbar, dass sie mit ihrem Besuch in der Ostukraine ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht hat.

Das Hauptproblem des Antrags ist – und das ist ein Problem, das wir insgesamt im Diskurs haben -: In Ihrem Antrag wird die Zusammenarbeit mit der russischen Zivilgesellschaft erst an zehnter Stelle erwähnt. Wir reden über taktische Bataillone, Haubitzen, Panzerverbände, Artilleriestellungen, Iskander-Raketen, Blutkonserven und solche Dinge. Die außenpolitische Aggression des Kremls ist aber nur eine Facette der Machtsicherung des Apparats. Im Inland wird die Repressionsschraube immer enger gegen die demokratische Zivilgesellschaft angezogen.

Auch darauf müssen wir trotz der Ablenkung durch militärische Aggression weiterhin einen aufmerksamen Blick haben. Wir müssen den Blick darauf werfen, wenn die individuelle Repression stattfindet durch Mordanschläge, durch willkürliche Haft und Terrorlisten; und da ist Alexej Nawalny nur ein trauriges prominentes Beispiel.

Wir müssen einen Blick haben auf die strukturelle Repression, wenn mit dem grotesken Vorwurf der ausländischen Agentenkennzeichnung wichtige Stimmen und Organisationen auf Dauer von der Bildfläche verschwinden sollen, was wir im Moment besonders deutlich bei Memorial sehen. Wir müssen den Blick darauf richten, wenn der Kreml die Deutsche Welle schließen lässt, nicht etwa wegen einer vermeintlichen Reaktion auf Dinge, die wir hier tun – was schon in medienrechtlicher Hinsicht Quatsch ist -, sondern weil jegliche unabhängige Berichterstattung in Russland unterdrückt werden soll, weil man das Feindbild über den Westen aufbauen will und die Deutsche Welle dabei stört.

Wir müssen den Blick darauf richten und klar benennen, dass der Kreml ein diktatorisches Regime in Belarus unterstützt, das 1 061 politische Gefangene zu verantworten hat und kommende Woche mit einem illegitimen Referendum eine Pseudoverfassung ändern und gegen den Willen der Bevölkerung die Herrschaft zementieren will.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Truppenaufmarsch schafft eine Diskursdominanz für den Kreml. Die Aggression richtet sich gegen die europäische Friedensordnung, und wesentlicher Teil dieser Friedensordnung ist das friedliche Zusammenleben der Völker. Den Zivilgesellschaften müssen wir unsere Aufmerksamkeit widmen. Sie und ihren Einsatz müssen wir unterstützen und damit eine neue strategische Widerstandsfähigkeit gegen Aggression und Autokratie entwickeln.

Vielen Dank.