Fakten statt Fake News

Verhandlungen statt Waffenlieferungen

"Waffen schaffen keinen Frieden. Es braucht Verhandlungen, keine Waffenlieferungen. Grüne sind Kriegstreiber. Die Ukraine und der Westen müssen Zugeständnisse machen, dann gibt es Frieden."

Fakten
Es gibt immer wieder diplomatische Initiativen. Doch Russland ist nicht zu glaubwürdigen Friedensgesprächen bereit und beharrt stattdessen auf der Maximalforderung einer vollständigen Unterwerfung („Denazifizierung“) der Ukraine. Russland hat die Ukraine ohne Grund angegriffen. Putin kann den Krieg jederzeit beenden. Zudem ist der Eindruck falsch, es fände keine Diplomatie statt.

Ziel der Erzählung:
Die Erzählung soll polarisieren und damit spalten. Es werden zwei vermeintliche Alternativen gegenübergestellt: Krieg oder Frieden. Damit wird auch die Verantwortung für den Krieg auf die Ukraine und ihre Partner übertragen. Militärische Unterstützung wird aus dem Kontext der Verteidigung genommen und in den der Kriegstreiberei gesetzt. Darüber hinaus wird die Ukraine entmündigt. Nicht sie darf über die eigene Zukunft entscheiden, sondern die vermeintlichen Großmächte.

Hintergrund:
Der Eindruck, es gäbe keine diplomatischen Initiativen, ist falsch. Nach Beginn der russischen Vollinvasion der Ukraine gab es Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Istanbul, die im Mai 2022 nach der Eroberung von Mariupol scheiterten. Seitdem gab es immer wieder diplomatische Initiativen aus Drittstaaten wie zuletzt aus China oder Brasilien. Doch die diplomatischen Kontakte zwischen Russland und der Ukraine beschränken sich aktuell auf Verhandlungen über Gefangenenaustausche. Gespräche über eine Friedenslösung finden nicht statt, da die Positionen des russischen Aggressors und der angegriffenen Ukraine weit auseinander liegen. Die Ukraine hat einen Friedensplan präsentiert, der von Russland nicht akzeptiert wird.

Für die Ukraine als von Russland angegriffenes und terrorisiertes Land gibt es die Alternativen „Krieg oder Frieden“ so nicht. Deutschland ist als Land, das im 20. Jahrhundert zwei Mal einen brutalen Angriffskrieg gegen seine europäischen Nachbarn geführt hat, sehr vom eigenen historischen Diskurs geprägt. Diejenigen Gesellschaften in Europa, die Opfer deutscher Aggression wurden, haben demgegenüber ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass „Frieden“ nicht eintritt, wenn man aufhört, sich dem Aggressor entgegenzustellen. Gleiches gilt heute für die Ukraine.

Russland wiederum könnte diesen Krieg jederzeit beenden. Die Ukraine verteidigt sich gegen einen völkerrechtswidrigen Angriff und versucht illegal besetzte Gebiete von der russischen Besatzung zu befreien. Die gefolterten und ermordeten Zivilisten in befreiten Ortschaften wie Butscha oder Isjom zeigen auf grausame Weise, dass die russische Herrschaft in den besetzten Gebieten keinen Frieden, sondern allein Terror für die Menschen in der Ukraine bedeutet.

Mit der Lieferung von Waffen und Munition unterstützt Deutschland die Ukraine gemeinsam mit anderen internationalen Partnern in Ihrem Recht auf Selbstverteidigung. Die gelieferten Luftabwehrsysteme schützen ukrainische Zivilist*innen vor russischen Raketenangriffen. Die umfassende militärische Unterstützung der Ukraine, ist die Voraussetzung dafür, dass dieser Krieg am Ende mit Verhandlungen beendet werden kann, die nicht von Russland diktiert werden. Russland will die Ukraine unterwerfen, was das Ende einer freien und demokratischen Ukraine bedeuten würde. Putin wird erst dann zu ernsthaften Verhandlungen bereit sein, wenn er einsieht, dass er seine Ziele nicht mit militärischer Gewalt erzwingen kann.

Ein russischer Diktatfrieden wäre kein nachhaltiger Frieden, auch wenn die Waffen erstmal schweigen. Das sieht man an den 2015 verhandelte Minsk-Abkommen. Diese haben nicht zur Beilegung der Kampfhandlungen Russlands in der Ostukraine geführt, sondern Russland lediglich Zeit verschafft, die Vollinvasion der Ukraine vorzubereiten.

NATO-Osterweiterung

"Die NATO ist Schuld am Krieg. Die NATO wurde gegen den Willen Russlands immer weiter nach Osten erweitert. Der Westen hat Putin damit provoziert. Russland verteidigt sich gegen die NATO und den Westen."

Fakten
Gemäß internationalen Verträgen (OSZE, NATO-Russland-Grundakte), denen sich Russland freiwillig angeschlossen hat und an die es sich jahrelang gebunden fühlte, besteht ein Recht auf freie Bündniswahl – also der Wahl, ob und mit welchen Staaten sich ein Staat zusammenschließt, um seine Sicherheit zu erhöhen. Selbst Putin hat der NATO-Erweiterung früher sogar zugestimmt. Er sagte 2005 selbst, dass jedes Land ein Recht auf freie Bündniswahl habe und von der NATO für Russland keine Gefahr ausginge. Da waren Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, die baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien und Slowenien bereits NATO-Mitglied.

Die NATO-Staaten haben in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgerüstet und die Wehrpflichten teilweise abgeschafft. Das allein zeigt, dass die NATO keinerlei Interesse an Offensiven gegen Russland hegte.

Ziel der Desinformation
Mit dieser russischen Erzählung versucht Putin den Krieg gegen Ukraine zu rechtfertigen und sich als Verteidiger statt als Aggressor zu präsentieren. Das Verhalten Putins soll als reaktiv dargestellt werden: Putin agiert durch diese Erzählung nicht aus imperialem Interesse oder für den Machterhalt seines Regimes motiviert, sondern als Beschützer des Vaterlandes, der das von äußeren Feinden bedrohte Land schützt.

Hintergrund
Moskau hat den Erweiterungen der NATO 1999 und 2004 um die ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts (z.B. Polen, Tschechien, Baltikum) explizit zugestimmt. Die russische Propagandaerzählung der angeblich illegalen oder anti-russischen NATO-Osterweiterung kommt erst viel später mit dem Beginn proeuropäischer Demonstrationen in der Ukraine im Jahr 2007, aber auch im Zuge wachsenden Widerstands aus der russischen Gesellschaft gegen Putins autoritären Kurs auf.

Es gibt keinen völkerrechtlich bindenden Vertrag, der eine Osterweiterung der NATO ausschließt. Im Gegenteil: Russland hat sich in mehreren Verträgen dazu verpflichtet, die staatliche Souveränität, das Recht der freien Bündniswahl und die territoriale Unversehrtheit anderer Staaten anzuerkennen, so z.B. in der Charta von Paris von 1990. Im Budapester Memorandum von 1994 erkannte Russland sogar explizit die existierenden Grenzen der Ukraine inkl. der Krym an und sprach Sicherheitsgarantien aus, im Gegenzug für die Aufgabe der sowjetischen Nuklearwaffen auf ukrainischem Territorium.

Putin bezieht sich immer wieder auf mündliche Aussagen, die im Vorfeld der Verhandlungen des 2+4-Vertrags zur Deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 getätigt wurden. Amerikanische und deutsche Politiker hatten damals versichert, dass sich die NATO-Jurisdiktion mit der Wiedervereinigung „keinen Zoll ostwärts“ (amerikanischer Außenminister James Baker) bewegen sollte und keine NATO-Truppen „jenseits des Gebiets der Bundesrepublik“ (NATO-Generalsekretär Manfred Wörner) stationiert werden sollten. Diese Aussagen beziehen sich aber explizit auf die Deutsche Wiedervereinigung und das Gebiet der ehemaligen DDR. Zum damaligen Zeitpunkt bestanden die Sowjetunion und der Warschauer Pakt noch und deren Ende war nicht absehbar. Eine Erweiterung der NATO nach Osten war nicht Teil der Verhandlungen, weil die damalige Welt eine völlig andere war, NATO und Warschauer Pakt aneinandergrenzten und niemand in Europa die weitere Entwicklung voraussah. Das bestätigte auch der damalige sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow mehrfach in russischen Medien.

Kurze Zeit später waren Sowjetunion und Warschauer Pakt zerfallen, existierten neue und freie Staaten im östlichen Europa. Moskau hatte seinen imperialen, oftmals mit Gewalt durchgesetzten Anspruch auf diese Länder aufgegeben. Russland strebte wie Polen, Ungarn und viele weitere Länder in Richtung Demokratie. Mit der NATO-Russland Grundakte von 1997 einigten sich Russland und die NATO auf den Verzicht einer Stationierung von Nuklearwaffen in künftigen NATO-Beitrittsstaaten. Unter dieser Bedingung stimmte Moskau den Erweiterungen der NATO um ehemalige Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts in den Jahren 1999 und 2004 explizit zu. 2004 sagte Putin kurz nach dem Beitritt der baltischen Staaten zur NATO, dass jeder Staat „das Recht habe, seine eigene Form der Sicherheit zu wählen“ und sich die Beziehungen zwischen Russland und der NATO „positiv entwickeln“ würden. Putin hat die Osterweiterung der NATO also erst im Nachhinein als Gefahr für Russland umgedeutet, um seine imperialistische Politik zu rechtfertigen.

Eigenständigkeit der Ukraine

"Die Ukraine ist kein eigenständiges Land, sondern gehört historisch zu Russland. Es gibt keine eigenständige ukrainische Sprache oder Kultur."

Fakten:
Wir leben im 21. und nicht mehr im 9. Jahrhundert! Die Ukraine ist ein eigenständiger – international anerkannter Staat. Russland und die Ukraine haben ihre Wurzeln in der Kyjiwer Rus, einem mittelalterlichen Herrschaftsverbund. Gehört Russland damit nicht eher zur Ukraine? Es heißt schließlich Kyjiwer und nicht Moskauer Rus (Moskau wurde erst viel später im 12. Jahrhundert gegründet).

Ziel der Erzählung:
Der Ukraine soll ihre kulturelle und politische Eigenständigkeit abgesprochen werden, um Russlands imperialistischen Krieg zu rechtfertigen. Sprache und Kultur gelten als identitätsstiftend und werden daher in ihrer Bedeutung und Einzigartigkeit in Frage gestellt. Kulturelle Selbstbehauptung wird nicht als emanzipativ, sondern als antirussisch deklariert.

Hintergrund:
Sowohl Russen als auch Ukrainer sehen ihre Wurzeln in der Kyjiwer Rus. Während die Ukraine vor allem territoriale Argumente betonen und sich als Ursprung Russlands versteht, berufen sich russ. Historiker vor allem darauf, dass auch die russischen Zaren bis zum Ende des 16. Jahrhunderts den direkten Nachfahren der Kiewer Rjurikiden entstammen. Im Verlauf der Jahrhunderte zerfiel die Rus und es bildeten sich neue Teile und Fürstentümer auf dem ehemaligen Herrschaftsgebiet. Ukrainer nehmen heute noch bei Staatswappen oder Währung Bezug auf die ukrainische Unabhängigkeitsbewegungen etablierten sich vor allem im 19. & 20. Jahrhundert. Mit der bolschewistischen Oktoberrevolution wurde die Ukrainische Volksrepublik der Sowjets gegründet, aber immer wieder aus Moskau heraus kontrolliert und unterdrückt.

Die Ukraine hat sich 1991 von der Sowjetunion unabhängig erklärt. Russland folgte später als Rechtsnachfolger der UdSSR. Mit dem Budapester Memorandum hat Russland die Staatlichkeit der Ukraine anerkannt und sich zur Achtung der Souveränität verpflichtet.

Russisch und Ukrainisch gehören zu den slawischen Sprachen. Ukrainisch stammt direkt aus dem Urslawischen und ist Belarusisch, Polnisch und Slowakisch im Wortschatz näher als Russisch. Hier zeigt sich, dass Ukrainisch kein russischer Dialekt ist, wie seit der russischen Zarenzeit wiederholt behauptet wird. Durch Verbote und Manipulation sollte Ukrainisch im 20. Jahrhundert näher ans Russische assimiliert werden. In der Ukraine sprechen die Menschen heute beides, wenngleich landesweit mehr und mehr Menschen nach der Vollinvasion bewusst auf die Sprache des Aggressors verzichten.

Rechtsextremismus in der Ukraine

"Die Ukraine ist ein nationalistisches und rechtsextremes Land. Die ukrainische Regierung steht in der Tradition nationalsozialistischer Kollaborateure wie Bandera."

Fakten:
Anders als in Russland wurde die ukrainische Regierung in freien demokratischen Wahlen gewählt. Rechtsextreme Parteien spielen in der Ukraine keine nennenswerte Rolle. Präsident Selenskyj ist selbst jüdischer Herkunft. Wenn Russland die De-Nazifizierung anstrebt, warum unterstützt und finanziert der Kreml nachweislich rechtsextreme und nationalistische Parteien wie AfD, FPÖ oder Rassemblement National? Russland hat sich in eine faschistoide Diktatur entwickelt, in der es keine freien Wahlen gibt, die Meinungs- und Pressefreiheit und Gewaltenteilung abgeschafft wurde und drakonische Repressionen gegen die Zivilgesellschaft herrschen.

Ziel der Erzählung:
Die Verknüpfung des völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit dem Sieg der Sowjetunion (und ebenso der westlichen Alliierten, die aber in der russisch-sowjetischen Heldenverehrung meist weggelassen werden) über den deutschen Nationalsozialismus und seinen verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieg in Europa ist eine gängige Methode des Kremls. Sie soll als Rechtfertigung für Gewalt und Terror gegen die Ukraine dienen. Das Narrativ einer „Entnazifizierung“ der Ukraine zielt darauf ab, den Kreml von verbrecherischen Handlungen freizusprechen und dem Angriffskrieg eine rechtliche und moralische Legitimation verleihen. Es soll zudem einen neuen Heldenmythos unterfüttern und zum Kriegsdienst im Angriffskrieg motivieren.

Hintergrund:
Die Nazi-Erzählung ist uralt und vor allem anschlussfähig beim Zielpublikum. Sie emotionalisiert und soll die Ukraine herabwürdigen. Der Kreml instrumentalisiert dabei die ukr. Nationalbewegungen der Vergangenheit und Gegenwart. Stepan Bandera und seine Anhänger stehen dabei oft im Fokus der russ. Propaganda. Bandera war ein bedeutender Funktionär der „Organisation ukrainischer Nationalisten (OUN), die auch mit radikalen Mitteln in den 1930 Jahren einen ersten ukrainischen Staat gründen wollten und dafür auch nicht vor einer kurzfristigen Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern zurückschreckten. Die russische Propaganda verzerrt die ukrainische Unabhängigkeitsbewegung zu einem nationalsozialistischen antirussischen Projekt, um dadurch von der eigenen imperialistischen Vergangenheit und Gegenwart abzulenken.

Fakt ist: Wie in nahezu allen von den Nazis besetzten Gebieten gab es während des Zweiten Weltkriegs auch in der Ukraine Kollaborateure. Teilweise beteiligten sich lokale Polizeikräfte und nationalistische Partisanen an den Massenmorden und Verbrechen der Nationalsozialisten. Zu den ukrainischen Kollaborateuren gehörte in den ersten Wochen der Besatzung die OUN. Schnell wurde aber deutlich, dass die Nazis keinerlei Interesse an einem unabhängigen ukrainischen Staat hatten. Die OUN wurde bekämpft, Bandera verhaftet und im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Reste der OUN beteiligten sich bis Kriegsende am Partisanenkampf gegen die Deutschen, nach Kriegsende gegen die wieder eingerückte Rote Armee. Im Jahr 1959 wurde Bandera im Exil durch den KGB ermordet.

Dass es in der heutigen Ukraine rechtsextreme und ultranationalistische Gruppen gab und gibt, bestreitet niemand. Anders als zum Beispiel in Deutschland (oder auch in Russland), haben diese weder politischen noch militärischen Einfluss. Bei den vergangenen Parlamentswahlen haben rechtsextreme Parteien keine Mandate erhalten und auch heute hätten Sie keine Chancen – im Gegenteil hat selbst der Angriff auf die Ukraine nicht dazu geführt, dass nationalistische und rechtsextreme Gruppen mehr Zuspruch erfahren hätten.

Friedensverhandlungen von Istanbul 2022

"Der Westen hat einen Waffenstillstand verhindert! Russland und die Ukraine standen kurz vor dem Abschluss eines Waffenstillstands, der von den USA und Großbritannien verhindert wurde."

Fakten:
Die Verhandlungen in Istanbul standen 2022 nie vor einem Durchbruch. Die Bedingung Russlands für einen Waffenstillstand war und ist bis heute eine vollständige Kapitulation der Ukraine. Das würde das Ende einer unabhängigen und freien Ukraine bedeuten. Verhandlungen scheitern also nicht am Westen, sondern an den russischen Maximalforderungen.

Ziel der Erzählung:
Wiederholt wird der Ukraine ihre souveräne Entscheidungsfähigkeit abgesprochen. Sie wird als fremdbestimmt dargestellt. Außerdem soll durch diese Erzählung suggeriert werden, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg auf dem Boden der Ukraine handelt. Russland überfällt darin nicht ein souveränes Nachbarland, sondern verteidigt sich gegen den kollektiven Westen. Das wertet Russland international zur Großmacht auf und stellt den Angriffskrieg gleichzeitig erneut als defensiven Akt dar.

Hintergrund:
Die Waffenstillstandsgespräche 2022 wurden im Mai abgebrochen, nachdem Russland die südostukrainische Großstadt Mariupol nach wochenlanger Belagerung einnahm und dabei fast vollständig zerstörte und die brutalen russischen Kriegsverbrechen in Butscha und Irpin bekannt wurden. Der Mythos, der Westen habe einen Frieden in der Ukraine verhindert, wurde insbesondere auch von Linken-Politiker*innen wie Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht verbreitet. Innerhalb der Partei DIE LINKE spielen hierbei auch anti-amerikanische Ressentiments eine Rolle.

Grundlage der Erzählung eines angeblich verhinderten Waffenstillstands durch den Westen ist ein Interview des ehemaligen israelischen Premiers Naftali Bennet. Bennett schätzte die Chancen auf einen Waffenstillstand nach eigenen Aussagen im März 2022 auf 50% ein und sprach von wichtigen Zugeständnissen auf beiden Seiten. Allerdings sagte Bennett auch, dass bei zentralen Fragen wie des Status des Donbass und der Krym oder Sicherheitsgarantien für die Ukraine keine Einigkeit bestand. Der Westen habe hier unterschiedliche Positionen eingenommen.

Bei den Verhandlungen in Istanbul war Naftali Bennet nicht dabei. Hier trafen die ukrainische und die (von Russland diplomatisch nur niederrangig besetzte) russische Delegation aufeinander. Die ukrainische Seite legte das sogenannte „Istanbuler Kommuniqué“ vor, das die ukrainischen Bedingungen für einen Waffenstillstand skizzierte. Das Papier enthielt weitgehende Kompromissvorschläge, wie eine dauerhafte ukrainische Neutralität im Gegenzug für belastbare Sicherheitsgarantien und Verhandlungen über den Status der Krym. Russland lehnte die Bedingungen ab und bestand weiterhin auf eine totale Kapitulation der Ukraine. Putin selbst lehnte es wiederholt ab, persönlich mit Selenskij über die zentralen strittigen Punkte zu verhandeln. Es bestand also keine ernsthafte Verhandlungsbereitschaft auf russischer Seite.

Die Gesprächsatmosphäre verschlechterte sich erheblich, als im April 2022 die Gräueltaten durch die russische Armee in den Kyjiwer Vororten Butscha und Irpin öffentlich wurden. Offiziell abgebrochen wurden die Verhandlungen erst am 17. Mai 2022, als Russland die Stadt Mariupol nach wochenlanger Belagerung eingenommen und wiederholt humanitäre Korridore für die Zivilbevölkerung verhindert hatte.

Einfrieren des Ukrainekriegs

"Wir müssen den Konflikt einfrieren. Damit hätte das Sterben in der Ukraine endlich ein Ende."

Fakten:
Der Krieg gegen die Ukraine wurde schon einmal „eingefroren“, nämlich 2015. Das „Einfrieren“ hat damals nicht zu einem nachhaltigen Frieden geführt, sondern Russland lediglich Zeit verschafft, seine militärischen Kräfte zu sammeln und die Vollinvasion vorzubereiten. Von einem erneuten „Einfrieren“ des Krieges würde vor allem Russland profitieren, da es seine Gewaltherrschaft in den besetzten Gebieten ausbauen und neue Kräfte sammeln kann. Es gibt zudem überhaupt keine Anzeichen dafür, dass Russland bereit wäre, den Krieg „einzufrieren“, also seinerseits die Kriegsführung einzustellen. Stattdessen bekräftigt Russland wiederholt, den Krieg bis zur Vernichtung der souveränen Ukraine fortführen zu wollen.

Kriegsverbrechen wie die in Irpin und Butscha haben uns schmerzhaft vor Augen geführt, was in russisch-besetzten Gebieten passiert. Einfrieren könnte bedeuten, dass wir diese Besatzungsverbrechen akzeptieren.

Ziel der Erzählung:
Der Wunsch nach einem schnellen Ende des Krieges, z.B. über Waffenstillstände, ist sehr verständlich und nicht automatisch eine pro-russische Erzählung. Dennoch: Das „Einfrieren“ des status quo wäre faktisch ein weiterer Gebietsgewinn für Putin und damit ein Erfolg seiner imperialistischen Politik. Die Erzählung suggeriert zudem, es gebe auf russischer Seite genauso den Wunsch nach einem Ende von Krieg und Gewalt, wie bei uns. Das ist aber nicht der Fall.

Hintergrund:
Wir wollen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Minsk I & II waren Versuche, die russische Aggression im Jahr 2015 einzufrieren und den „Konflikt“ diplomatisch zu befrieden. Diese sind gescheitert, denn Putin will die gesamte Ukraine unterwerfen. Die russischen Kriegsziele sind heute andere und viel weitreichender, als damals. In der Ukraine ist es nicht das grundsätzliche oder fehlende Interesse an Konzessionen, Verhandlungen oder Diplomatie, das einer friedlichen Lösung im Wege steht, sondern vielmehr die Bereitschaft Putins, sich glaubwürdig darauf einzulassen. Ein politisches Nachgeben (Appeasement) gegenüber. Putin würde den Krieg nicht beenden, sondern zu weiterer Gewalt motivieren.

Wer den Krieg heute einfrieren möchte, sollte zuerst erklären, wie wir der Ukraine Sicherheit gewährleisten, falls Putin/Russland den Krieg ein weiteres Mal anfacht bzw. wie Russland dazu gebracht werden soll, von seinen Kriegszielen und seiner Kriegsführung abzurücken.

Taurus

"Taurus-Lieferungen eskalieren den Krieg. Sie machen Deutschland zur Kriegspartei."

Fakten:
Da Deutschland keine Soldaten zur Bekämpfung Russlands in die Ukraine entsendet, kann Deutschland nicht als Kriegsteilnehmer gewertet werden. Deutschland hat das völkerrechtlich legitime Recht, die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland zu unterstützen. Es ist Russland, das als Ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, gegen das Gewaltverbot der VN-Charta und die europäische Friedensordnung verstößt.

Ziel der Erzählung:
Es wird suggeriert, dass Deutschland ab einer gewissen Schwelle selbst Kriegspartei und damit legitimes Ziel russischer Kriegshandlungen würde. Damit sollen vor allem Ängste geschürt werden.

Hintergrund:
Der Bundestag hat am 22. Februar einen Antrag beschlossen, der auch zu Lieferung weiterreichender Waffen auffordert, um Angriffe auf militärische Ziele wie Munitionsdepots, Versorgungsrouten und Kommandoposten weit hinter den Frontlinien durchführen zu können. Gemeint ist damit der deutsche Marschflugkörper Taurus.

Unsere Politik zielt darauf ab, die Ukraine so umfangreich wie möglich zu unterstützen, ohne dass sich der Krieg ausbreitet. Unsere militärische Unterstützung für die Ukraine ist vom Völkerrecht gedeckt, da wir die Ukraine in ihrem legitimen Selbstverteidigungsrecht stärken. Russland hat weder ein Recht noch einen Grund für diesen Krieg. Es ist der imperialistische Versuch des Kreml-Regimes, ein benachbartes Land zu unterwerfen.

Die innenpolitische Debatte über das Waffensystem Taurus ist Ausdruck der demokratischen Auseinandersetzung. Sie muss aufrichtig und wahrheitsgemäß geführt werden. Für die Lieferung des Taurus und seine Nutzung durch ukrainische Streitkräfte in der Ukraine bedarf es keine deutschen Soldaten und damit kein Mandat des Bundestages. Die regierungstragenden Fraktionen haben eine direkte Beteiligung der Bundeswehr am Befreiungs- und Verteidigungskampf der Ukraine ausgeschlossen.

Krim (Krym)

"Die Krim war schon immer russisch! Die Wiedervereinigung der Krim mit Russland war die freie Entscheidung der dortigen Bevölkerung.“

Fakten:
Die Krym war viel länger unter osmanischer als unter russischer Herrschaft. Zu Russland gehörte die Krym nur etwa 140 Jahre. Seit 1954 ist die Krym ukrainisch. Die russische Besetzung der Krym und das Referendum waren illegal und das Ergebnis hochgradig manipuliert. Die Krym gehört völkerrechtlich nach wie vor zur Ukraine.

Ziel der Erzählung:
Diese historische Falschbehauptung soll als Rechtfertigung für die widerrechtliche Einverleibung der Krym dienen. Ziel ist die Überwindung der europäischen und internationalen Friedensordnung und dem darin beschriebenen Grundsatz, dass Grenzen nicht mittels Gewalt verschoben werden dürfen. Russland nutzt die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung, um daraus russische Staatlichkeit der Gebiete zu begründen und die Grenze anderer Staaten zu verletzen. Russland inszeniert sich als Schutzmacht angeblich russischer Minderheiten in anderen Ländern und erklärt die Gebiete als russisch.

Hintergrund:
Die Halbinsel Krym stand geschichtlich viel länger unter osmanischer Herrschaft als unter russischer. Etwa 1430 wurde auf der Krym ein Khanat der turksprachigen Krymtataren gegründet, dass um 1500 ein Satellitenstaat des Osmanischen Reiches wurde. Erst Ende des 18. Jahrhunderts eroberte und annektierte das Russische Zarenreich die Krym. 1921 wurde die Krym zu einer Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik. Stalin ließ die Urbevölkerung der Krymtataren während des Zweiten Weltkriegs massenhaft deportieren, erkannte der Krym ihren Autonomiestatus ab und gliederte sie in die russische Sowjetrepublik ein.

Kurz nach dem Tod Stalins wurde die Krym 1954 in die Ukrainische Sowjetrepublik eingegliedert. Sowjetische Quellen beschreiben den Transfer häufig als „Geschenk Chruschtschows“ und bringen sie in Verbindung mit Chruschtschows ukrainischer Herkunft. Die genauen Hintergründe der Übergabe sind nicht abschließend geklärt, es gab aber sowohl wirtschaftliche als auch politische Gründe für die Übergabe. Die Infrastruktur der Krym war eng mit der Ukraine verwoben – die Halbinsel wurde über die Landverbindung mit Wasser und Strom versorgt. Durch den Transfer sollten Ukrainer zu einer Umsiedelung auf die Krym bewegt werden, die nach den Deportationen der Krymtataren in weiten Teilen entvölkert war. Außerdem unterstützte die Übergabe der Krym den Prozess der Entstalinisierung, mit dem Ziel die Moskauer Zentralmacht zu schwächen.

Im Zuge der pro-europäischen Proteste in der Ukraine 2014 besetzten russische Soldaten die Halbinsel Krym und das Regionalparlament in Simferopol. Russische Separatisten hielten im März 2014 ein völkerrechtswidriges Referendum über den Status der Krym ab. Nach russischen Angaben stimmten fast 97% der Bevölkerung für einen Anschluss an Russland. Die Abstimmung war nach internationalen Standards weder frei noch fair – es gibt Berichte über massenweisen Wahlbetrug. Die UN-Generalversammlung verabschiedete mit überwältigender Mehrheit eine Resolution, in der das Referendum als illegal und das Ergebnis als ungültig erklärt wird.

Sanktionen

"Die Sanktionen gegen Russland wirken nicht. Sie schaden uns mehr als Russland."

Fakten:
Auch Sanktionen sind keine Wunderwaffe. Sie wirken (meist) nicht unverzüglich, sondern über Zeit. Die Sanktionen haben dazu beigetragen, den wirtschaftlichen Druck auf Russland zu erhöhen und bestimmte Branchen wie den Finanz- und Energiesektor zu beeinträchtigen. Gazprom fährt erstmals seit Jahrzehnten Verluste ein.
Darüber hinaus haben sie dazu beigetragen, die internationale Isolation Russlands zu verstärken und politischen Druck auf das Land auszuüben, um sein Verhalten zu ändern.

Ziel der Erzählung:
Die Politik des Westens soll als nutzlos und inkompetent dargestellt werden, um Vertrauen in die Regierungen zu zerstören. Das Hinterfragen der Wirksamkeit von Sanktionen hat aber vor allem die Beendigung der Sanktionen zum Ziel (was wiederrum ein Indiz der Wirksamkeit ist).

Hintergrund:
Da Kriege auch über wirtschaftliche und finanzielle Durchhaltefähigkeit entschieden werden, sollen die EU-Sanktionen gegen Russland die Finanzierung des Krieges erschweren. Die EU hat als Reaktion auf den russ. Angriffskrieg mittlerweile 13 Sanktionspakete verabschiedet. Dabei handelt es sich um sektorale Wirtschaftssanktionen und personenbezogene Sanktionen. Mit den verschiedenen Paketen schließt die EU bestehende Löcher im Sanktionsregime und beugt damit Sanktionsumgehung vor.

Die Sanktionen wirken. Zwar wächst Russlands Wirtschaft aktuell, aber dieses Wachstum ist schuldenfinanziert und der Umstellung auf die Kriegswirtschaft geschuldet. Trotzdem gehen Russland langsam die finanziellen und materiellen Mittel aus. Die Einnahmen aus dem Öl- und Gas-Verkauf sinken, der Export geht zurück, das Staatsdefizit steigt. Unklar ist, wie Russland in den kommenden Jahren seine wachsenden Schulden bedienen soll.

Ein Beispiel für die Wirksamkeit der Sanktionen sind die Verluste des russischen staatlichen Energie-Monopolisten Gazprom, der erstmals seit Jahrzehnten Verluste im Öl- und Gas-Geschäft verzeichnen muss. Auch in anderen Sektoren zeigt sich die Wirkung der europäischen Sanktionen.

Kontakt

Robin Wagener
Mitglied des Deutschen Bundestages
Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen

Bundestagsbüro
Platz der Republik 1
11011 Berlin

Tel.: +49 (30) 227 72847
E-Mail: robin.wagener@bundestag.de